Schmerzübertragung bei Erkrankung innerer Organe

Schmerzübertragung

Die Schmerzübertragung bei Erkrankung innerer Organe ergibt sich meiner Erfahrung nach aus dem Zusammenhang zwischen peripheren Nerven, Muskeln, Hautarealen und nervaler Versorgung innerer Organe.

Der Mensch entwickelt sich embryonal aus gleichartigen Abschnitten. Während der Segmentierung des Mesoderms differenziert sich der dorsolaterale (im Rücken gelegene) Anteil weiter und es bildet sich jeweils ein Dermatom (Hautareal) und ein Myotom (Muskulatur).

Die Muskulatur (Myotom) und das entsprechende Hautareal (Dermatom) werden von Nervenfasern des entsprechenden Spinalnerven innerviert. 

Eine Schmerzübertragung der Eingeweide in die Haut kommt nach meiner Erfahrung häufig vor. Es kann allerdings auch die Übertragung des Schmerzes in die Skelettmuskulatur vorkommen, genauso wie in seltenen Fällen auch direkter Organschmerz vorliegen kann. 

In der Praxis erlebe ich, dass bei Erkrankungen der inneren Organe auch die Haut hyperalgetisch, also schmerzempfindlich sein kann. Das erkrankte Organ überträgt den Schmerz in die Dermatome. Der Schmerz wird von den Patienten als „hell“ und gut lokalisierbar beschrieben. 

Diese schmerzempfindlichen Hautareale sind nur durch oberflächliche Palpation ermittelbar.

Eine (sofortige) tiefe Palpation am Patienten sorgt ggf. für eine Druckschmerzhaftigkeit der tiefen Teile, welche die oberflächlichen Schmerzimpulse überlagern kann.

Beschreiben Patienten ihre Schmerzlokation, ist zudem fast nie die gesamte Fläche eines Dermatoms betroffen. Die Ausbreitung scheint fleckförmig zu sein. Bei unpaaren inneren Organen wird der Schmerz durch meine Patienten häufig auf der Körperseite des Organs wahrgenommen. Herz und Magen gelten in diesem Zusammenhang als linksseitig liegend.

Es können in der Praxis fünf Komponenten des Schmerzes beschrieben werden:

  • sensibel bzw. sensorisch (Lokalisation, Intensität, Dauer und Art des Schmerzes) 
  • motorisch (reflektorische Muskelverspannungen, Bewegungs- und Fluchtreflexe, Schonhaltung etc.) 
  • vegetativ (Veränderungen von Blutdruck, Herzfrequenz, Pupillendurchmesser, Übelkeit, Erbrechen u.a.) 
  • affektiv (heftige Emotion, Schmerz „tut weh“, ist unangenehm, erzeugt Leidensdruck) 
  • kognitiv (Bewertung des Schmerzes und der Umstände der verursachenden Faktoren) 

Schmerzempfindlichkeit

Der anatomische Hintergrund der tiefen Schmerzempfindlichkeit gleicht prinzipiell mit dem der Head-Zonen. Vom entsprechenden Rückenmarksegment ziehen meiner Kenntnis nach Fasern zum zugeordneten Myotom sowie dem Bindegewebe der Tiefe. Das Myotom entspricht den dem Segment zugeordneten Muskeln und liegt in der Tiefe. Der vom schmerzenden Organ auf das Myotom übertragene Schmerz ähnelt meines Wissens dem Organschmerz mehr als dem Hautschmerz. Er ist von den Patienten schlechter lokalisierbar, „dunkler“ (= dumpfer) und häufig länger anhaltend.

Bei Organerkrankungen ist nach meiner Erfahrung die tiefe Schmerzempfindlichkeit (Hyperalgesie) seltener als die Hyperalgesie der Haut.
Die tiefe Hyperalgesie wird durch Druck aktiviert. Dies kann einerseits durch Palpation geschehen, andererseits geschieht dies jedoch nach meiner Erkenntnis auch durch die Muskulatur selbst. Jede noch so kleine Bewegung beruht auf Kontraktionen verschiedener Muskeln.

Daher ist bei inneren Erkrankungen der „Spontanschmerz“ häufig eigentlich ein übertragener Schmerz der tiefen Teile durch kontraktionsbedingte Aktivierung druckschmerzhafter Zonen.

Palpationsschmerz bedeckt nicht unbedingt die Fläche der Körperoberfläche auf welche das Organ bedingt durch seine anatomische Lage projiziert wird, da nach meiner Erkenntnis in der Tiefe die Schmerzübertragung auf Skelettmuskeln erfolgt, welche eine von der Organlage abweichende Ausdehnung zeigen.

Organ - Muskel

Schmerzübertragung und Muskeltonus

Schmerzübertragung in die Muskulatur erhöht nach meiner Erkenntnis den Muskeltonus. Der Muskelschmerz erhöht reflektorisch den Muskeltonus (Circulus vitiosus). 

Alles, was den Muskeltonus verringert z.B.

  • Wärmeanwendungen,
  • Massagen,
  • pharmakologische Muskelrelaxantien, vermindert den Schmerz.

Andersherum verringert meines Wissens alles, was den Schmerz vermindert (z.B. Analgetika), den reflektorischen Muskeltonus.

Prinzipiell kann meines Wissens ein primärer Muskelschmerz auf innere Organe übertragen werden.

Ein übertragener Schmerz beschränkt sich nicht auf die Übertragung vom Organ zum Myotom und / oder Dermatom, sondern kann sich meines Wissens innerhalb der einzelnen Segmente in (fast) alle Richtungen übertragen.

Daher kann es bei Erkrankungen der inneren Organe auch zur Schmerzübertragung in die Skelettmuskulatur kommen. Dies darf jedoch nicht mit haltungsbedingten symptomatischen Muskelschmerzen oder Erschöpfungsschmerz verwechselt werden.

Bei Erkrankungen innerer Organe tritt neben der sensiblen und motorischen Komponente die vegetative hinzu. Dazu gehören viszero-viszerale Reflexe.

Bei Erkrankung oder Reizung eines Organs kommt es nach meiner Erfahrung zu Reaktionen in anderen Organen der gleichen Segmentzugehörigkeit. Da ein Organ in der Regel mehreren Segmenten zugeordnet ist (= Segmentsteuerung) und somit eine Reihe von Organen mit dem gleichen Segment in Verbindung steht, ergibt sich eine große Anzahl möglicher viszero-viszeraler Reflexe. So kennen Patienten bei vielen organischen Erkrankungen die reflektorische Übelkeit bzw. das reflektorische Erbrechen.

Operative Eingriffe an inneren Organen führen trotz Allgemeinanästhesie mit Analgesie der Erfahrung nach immer zu einem Trauma des Organs. Das Trauma führt zu Schmerzen am Organ, die postoperativ medikamentös behandelt werden (müssen). Postoperative Übelkeit nach Eingriffen an inneren Organen kann prinzipiell als viszero-viszeraler Reflex aufgefasst werden. 

Schmerzübertragung verselbstständigt

Bisher wurden zwei Typen von Schmerzen bei Erkrankungen der inneren Organe beschrieben, der direkte Organschmerz und der übertragene Schmerz. Dabei handelt es sich jeweils um akute Geschehen

In der Praxis gibt es jedoch auch Patienten, bei denen der Schmerz sich verselbstständigt hat (Schmerzkrankheit). Bevor es jedoch zur Ausbildung einer Schmerzkrankheit kommt, bildet sich zunächst eine Schmerzgeneralisierung heraus. 

Die Schmerzgeneralisierung ist nach meiner Kenntnis bedingt durch eine Verknüpfung von Segmenten über Neurone, die im Rahmen akuter Schmerzen ruhend sind. Dadurch kann der Schmerz sich über eine größere Fläche ausdehnen und es kommt zu einem „Segmentsprung“. Besteht dieser Zustand fort, bildet sich später die Schmerzkrankheit aus, bei der es keine direkte Verbindung zwischen dem betroffenen Organ und den Schmerzen mehr gibt.

Hintergrund einer solchen Schmerzkrankheit sind nach meiner Erkenntnis neuroplastische Veränderungen im ZNS wie zum Beispiel eine Erhöhung der synaptischen Effizienz durch Langzeitpotenzierung. Daraus ergibt sich, dass eine frühzeitige – möglichst kausale – Behandlung von Schmerzen eine Schmerzkrankheit verhindern kann.

Projizierter Schmerz

Übertragener Schmerz hat nichts mit projiziertem Schmerz zu tun, dabei handelt es sich um zwei völlig verschiedene Mechanismen.

Unter projiziertem Schmerz ist ein Phänomen zu verstehen, bei der der Schmerz nicht am Ort der Reizung empfunden, sondern vom Gehirn in die Peripherie projiziert, nämlich in das Innervationsgebiet der geschädigten Nervenfasern wird. Ein Beispiel sind Schmerzen im Bein bei Läsion eines peripheren Nerven z.B. durch einen Bandscheibenprolaps oder lokale entzündliche Prozesse.

Diese Schmerzen sind keine übertragenen Schmerzen, werden jedoch gelegentlich fälschlicherweise als solche bezeichnet.

Weitere Erklärungsansätze finden Sie in den Artikeln zu Verspannungsmuster Leber, Verspannungsmuster Magen sowie Körper Balance – Warum axiale Ausrichtung so wichtig ist.

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